„Ich und mein IPhone“ Kurzgeschichtenwettbewerb:

ALS CAMILLA AM CAMINO IHR IPHONE VERLOR

Schon um 6 Uhr früh war Camilla nach Peunte la Reina aufgebrochen. Sie hatte sich nicht nur durch den Prior des Refugiums in der Schule von Pamplona wecken lassen, sondern sicherheitshalber auch durch ihr neues iphone 4, das sie sich eigens für ihre Jakobsweg-Wanderung erspart hatte.

Auf diese Anschaffung, die sie immerhin knapp 1000 € gekostet hatte, weil sie sich an keinen Vertrag hatte binden wollen, war sie besonders stolz. Das iPhone sollte ihr den fehlenden Begleiter ersetzen. Darüber war sie auch für ihre Eltern und Freunde fast lückenlos erreichbar.

Bei Anrufen am Festnetz klang ihre Stimme zwar dumpf, so dass sie wiederholt gefragt wurde, ob sie verkühlt sei, während die Stimmen der Anrufer bei ihr eher blechern ankamen, mit Aussetzern und schwankender Lautstärke, vermutlich bedingt durch die im äußeren Metallrahmen eingebaute Antenne. Camilla wusste, dass ihre Finger die linke untere Ecke des iPhones, den Sitz der Mobilfunkantenne, meiden sollten.

Besondere Freude bereiteten ihr die beiden Kameras, die gestochen scharfe Bilder lieferten, wenn ihr auch die Beschreibung der„ Auflösung von 5 Megapixel, unterstützt von einem Touch-Fokus sowie LED-Licht“ nichts sagte.

Als Camilla am Nachmittag einigermaßen erschöpft die Brücke von Puente la Reina erreichte, legte sie hier eine längere Pause ein, trank Mineralwasser, fotografierte das alte, römische Bauwerk, das sich im Fluss spiegelte, und die um nichts weniger sehenswerte Stadt dahinter und stellte sich vor, wie seinerzeit die Königin über diese Brücke geritten sein mag.

Dann nahm sie ihren Rucksack wieder auf, um noch einige Kilometer weiterzugehen.
Am Weg nach Logroño entdeckte sie auf einem nahen Hügel eine faszinierende Baumgruppe, die sie fotografieren musste. Aber wo war ihr iPhone? Sie hatte es doch in die Außentasche ihres Rucksackes gesteckt, an der Brücke von Puente la Reina.
Der Schreck war groß. Camilla hatte ihr neues iPhone offenbar liegen lassen oder verloren. Nun musste sie schnellstens zurück. Die ihr begegnenden Pilger fragte sie, ob sie ein iPhone gefunden hätten. Aber würde es, wer es gefunden hatte, ohne weiteres wieder zurückgeben?

Als sie den ihr schon von den Vortagen bekannten Münchner Karli traf, schöpfte sie wieder Hoffnung. Er hatte auf der Brüstung der Brücke in Puente la Reina ein schmutziges, verschmiertes Handy gesehen, von dem er angenommen hatte, es wäre weggeworfen worden.

Das einzig sichtbare Manko hatte ihr iPhone vielleicht vor Fundunterschlagung bewahrt: Das viele Glas daran ist sehr schmutzanfällig. Jedes Anfassen hinterlässt hässliche Fingerabdrücke. Schon nach kurzer Zeit sieht das Handy schmuddelig aus.
Schnellen Schritts eilte Camilla zurück zur Brücke.

Vor ihrem geistigen Auge sah sie die prächtig gekleidete Königin, die ihr mit herablassender Geste huldvoll ihr verlorenes Handy überreichte.

Tatsächlich stellte sich ihr dort jedoch ein räudiger Mischlingshund in den Weg, der just zu bellen anfing, als sie ihm näherkam. Und da hörte sie auch den Klingelton ihres iPhones. Der Hund wurde noch unruhiger und wandte sich bellend einerseits gegen Camilla und andererseits gegen das Handy, als könnte er dem Klingeln Einhalt gebieten.

Begütigende Worte Camillas verfingen nicht.
Erst als ein spanischer Bauer hinzukam und das Tier anherrschte, zog es sich ängstlich zurück, so dass Camilla ihr iPhone aufheben konnte.

Ihre Mutter hatte angerufen, wie sie an einer Nachricht sah. Sie rief zurück und erzählte ihr vom „wundersamen Wiederauffinden ihres iPhones“, wofür sie sich auf ihrer weiteren Pilgerschaft nach Santiago di Compostella beim Heiligen Jakob nicht genug bedanken würde können.

Heinz-Helmut HADWIGER