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                                                                                                                                     „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“

Ein windiger Herbstspaziergang

 

Gerold Maushammer ist ein ambitionierter Volkschullehrer, von Kollegen und Schülern gleich geschätzt. Nur bei seiner Frau Lisa verschätzte er sich.
Er hatte sich offenbar zu sehr um seine Klasse gekümmert und darüber Lisa vernachlässigt, die an einer anderen Volkschule der Stadt unterrichtete.
Wäre sie sonst auf die Idee gekommen, sich mit einem Kollegen anzufreunden und gar einzulassen?
Wenn wenigsten so diskret, dass es die nächste Umgebung nicht bemerkt hätte!

Nur Gerold bekam als Letzter davon Wind, als ihn ein Schüler der Vierten darauf ansprach: Er habe Frau Maushammer in enger Umarmung mit Herrn Fachlehrer Besorger gesehen.

So ein Hammer!

Genug damit, dass der vorlaute Max Brunner nur das auf seinen Familiennamen bezogene Sprichwort zitierte: „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis…“, anstatt gleich unflätig darauf anzuspielen, ob da etwa Frau Maushammer mit Herrn Besorger mause oder Herr Besorger es Frau Maushammer besorge.

„Geschmacklos!“ dachte sich Gerold, der des Schülers Anspielung weiterspann.
Damit konfrontiert, zum Gespött der Schule zu werden, sprach er mit seiner Frau darüber und bat sie, sich von diesem verheirateten Kollegen zurückzuziehen. Er werde sich seinerseits mehr um sie kümmern, mit ihr ausgehen, zum Essen, ins Theater, ins Kino.
Zuerst versuchte seine Frau, die „Affäre“ als völlig harmlos, die Beziehung zum Kollegen als rein freundschaftlich zu bemänteln. Selbst als ihr Gerold des Schülers Beobachtung entgegenhielt, zog sie diese in Zweifel, als Erfindung, um den Lehrer zu ärgern, als boshafte Lüg, als Intrige
 Als rede Gerold gegen den Wind!

Gerade während er Lisa klar machen wollte, dass keiner seiner Schüler solcher Verleumdung fähig wäre, rief der Liebhaber am Handy an, und allein Lisas verwirrte Reaktion war Beweis genug für Gerolds Verdacht.
Lisa beharrte darauf: „da laufe nichts“ und schließlich – ihren Mantel nach dem Wind hängend – wenn schon, dann doch nur, weil sie das für ihre „Befindlichkeit“ brauche.

Bis zum Ende des Schuljahres hatte Gerold noch gute Miene gemacht. Aber Lisas böses Spiel wurde immer unverschämter. Jetzt, da Gerold mehr zuhause war, merkte er erst, dass sie ihre eigenen Wege ging, worum zu allem Überfluss Schüler und Lehrerkollegen viel Wind machten.
Gerold durfte nicht länger Hahnrei bleiben!

Gegen den anhaltenden „Seitensprung“ seiner Frau war allerdings kein Kraut gewachsen, Lisa das Bestellen ihres Liebesgärtleins wichtiger als ihre Ehe. Jede Warnung schlug sie in den Wind.

Als Konsequenz blieben Gerold nur Trennung und Übersiedlung.

Nun war er schon einige Wochen Lehrer an der Volksschule dieses Marktfleckens am Land, wohin ihn der Wind der Verzweiflung getrieben hatte. Er fand Anklang bei den Schülern und Verständnis bei den Kollegen und wohnte allein in einem schmucken Häuschen an Rande des Dorfes.
Bei einer Exkursion des Lehrkörpers war Gerold nicht unbemerkt geblieben, dass ihm die attraktivste Kollegin, Annemarie, schöne, ja die schönsten Augen machte, wodurch er erkannte, woher der Wind weht, ohne dass es den anderen Kollegen auffiel.

Sie war doch mit dem Facharzt Doz. Dr. Gustav Rammler verheiratet, der in einem städtischen Krankenhaus Dienst versah, darunter viele Nachtdienste, sodass er sich wenig zuhause aufhielt, im Nachbarort, wo die kinderlosen Eheleute eine Prachtvilla bewohnten.
Warum war Annemarie gerade auf ihn, Gerold Maushammer, das Mustermäuschen, verfallen?
Sollte er sich den Wind um die Ohren wehen lassen?

Es kam ihm wie ein Spiegel seiner gescheiterten Ehe vor: Der ehrgeizige Facharzt ging ganz im Beruf auf, die zu kurz gekommene Frau verwirklichte sich anderswo.

Deshalb brachte Gerold aber auch nicht mehr Verständnis für Lisa auf.
Gott sei Dank ging Annemarie klüger und unauffälliger vor! Über ihn fixierende Blicke und über scherzhafte Komplimente war sie bisher nicht hinausgegangen.
Bis sie ihm, an einem Nachmittag allein im Konferenzzimmer, einen Zettel zuschob, den er – damit es keiner sähe – erst daheim las:

„Lieber Gery, du windiger Gesell! (Dass die Kollegen einander duzten, war nicht außergewöhnlich, ihn aber einen „windigen Gesellen“ zu nennen, war doch etwas keck, wenn es auch nur scherzhaft ein Wortspiel einleiten sollte.)

„Der Herbst ist hier heroben noch windiger! Darf ich dich trotzdem zu einem harmlosen Herbstspaziergang einladen. Damit uns niemand beobachtet, schlage ich vor, uns um18 Uhr bei dem Marterl zwischen unseren beiden Ortschaften, dort, wo der Wald vor dem Wind schützt, zu treffen.
Mach dir keine Gedanken wegen meines Mannes. Er ist für drei Tage beruflich nach Berlin geflogen. Selbst wenn du windscheu sein solltest, komm zumindest zum Treffpunkt und versetze mich nicht! In den Herbstböen ist es für längeres Warten denn doch zu kühl, so kühl, wie du hoffentlich nicht!“

Aha, daher weht der Wind! Wenn das nicht eindeutig war!
Bei dem Gedanken, dass er sich nach monatelanger Abstinenz wieder vor einer Frau, noch dazu einer so anziehenden, würde ausziehen, vor Annemarie Rammler, schoss ihm der an Hasensex anknüpfende abgedroschene Wortwitz durch den Kopf, stieg ihm das Blut ins Gehirn, und das Gehirn sandte seine Botenstoffe nach unten aus.

Er müsste im Mantel der Dunkelheit zum Marterl kommen. Annemarie würde dort kein Gebet sprechen, sondern ihn vielmehr ganz anders „ins Gebet nehmen“.

Sie sollte sich schämen, eine anständig verheiratete, offenbar unanständige Ehefrau!
Noch zögerte Gerold, ob er das, was ihm da unverhofft vorschwebte, auch umsetzen könnte, ob er wagte, auf dieses Angebot einzugehen. Ließe er sie im zugigen Herbstwind stehen, geschähe der Untreuen recht. Nur hätte er, Gerold, davon, dass er ihr „so eine Lektion erteilte“, rein gar nichts, keinerlei Befriedigung …

Mit Ungeduld, ja, mit innerer Unruhe, einem ihm bisher fremden Beben wünschte er den Einbruch der Dämmerung, wünschte er das abenteuerträchtige Treffen mit Annemarie herbei.

In Gedanken begann er, sich einen „Schlachtplan“ oder – feiner ausgedrückt – ein „Konzept“ zurechtzulegen, obwohl er nach diesen Zeilen ohnehin annehmen hätte können, die liebeshungrige Annemarie werde ihm wie eine pralle, reife Frucht in den Schoß fallen, ohne dass er viel schütteln und rütteln müsste.

Er ließ sich alle Begleitumstände noch einmal durch den Kopf gehen: Niemand wusste von dem ihm zugesteckten Zettel; sie hatte bisher keinem ihre Schwäche für Gerold auch nur angedeutet; sie besaß keinerlei Freundin, so dass sie sich nicht durch Vertraulichkeiten verraten würde, noch weniger neigte sie zu Tratsch. Er würde wegen der Herbstwindes Übergangsrock, Schal und Handschuhe tragen, die er vor kurzem am Flohmarkt bei einem Händler erstanden hatte, der dort bisher noch niemals gestanden war und auch nicht mehr hinkäme.

Damit war jeder denkbare Unsicherheitsfaktor ausgeschlossen und Gerold bereit, sich in dieses Abenteuer einzulassen, von dem niemand Wind bekäme.

Um seine körperliche Fitness zu erproben, machte er nach Yogaübungen zwanzig Liegestütze und ebenso viele Kniebeugen, sich dabei im Geiste vornehmend, der Sirene nicht sogleich zu erliegen, sich bei ihr nicht zu auffällig „hineinzuknien“ und seinen Willen schon gar nicht von ihr beugen zu lassen.

So gewappnet, trat er nach Einbruch der Dunkelheit nahe dem Marterl aus dem Wald, als Annemarie gleichfalls zu Fuß dort eintraf.
„Danke, Gery, dass du gekommen bist, jetzt lass uns …“
„Ich konnte dich ja bei diesem Sturm nicht gut allein so eine Pilgerwanderung unternehmen lassen, zumal du ja offensichtlich Sündiges vorhast“, nahm er ihrem Frontalangriff den Wind aus den Segeln.
„Sündig? Inwiefern sündig?“
„Verstoß gegen das Sakrament der Ehe, gegen das sechste Gebot, weiß Gott!“ Schließlich sei er kein Windbeutel.
„Begehrst nicht du auch, trotz neuntem Gebot? Wenn ‘s dich beruhigt: Mein Mann macht sich nicht mehr viel aus mir. Ganz der Herr Dozent, der nur nach Lorbeer brennt! Hab mich schon abgefunden damit. Da ich nun dich gefunden habe …“

Sie hakte sich bei Gerold unter und steuerte mit ihm, um der Zugluft zu entgehen, dem Waldesrand zu, den Rückenwind gleichsam als Verbündeten nützend.
Ob sie solche Heimlichkeiten denn mit ihrem Gewissen vereinbaren könne?
Wer keine Gewissen habe, müsse damit auch nichts vereinbaren können, meinte Annemarie kaltschnäuzig, während sie mit ihren brennenden Lippen nahe an Gerolds überraschtes Gesicht herankam.

Dass auch sein Los einmal „gewissenlos“ lauten würde, habe sich Gerold nie vorstellen können.
Als sie ihn dankbar umarmen wollte, wehrte er ab, als liefe sie gegen den Wind:
„Lass uns erst einmal spazieren gehen! Du hast doch einen ‚windigen Herbstspaziergang‘ vorgeschlagen. Das kannst du so schnell nicht in den Wind schlagen!“
„Du bist ein kluger Kopf, den man fürs Mitdenken belohnen sollte!“ Damit schickte sie sich an, ihm die Wange zu streicheln.
Er wich zurück, als sei er über eine Wurzel gestolpert, und zog Annemarie mit in den Wald hinein.
Da riss sie sich los und lief ihm davon, wie ein junges Mädchen scherzend: „Fang mich doch, wenn du mich haben möchtest! So fang mich doch!“
Gerold ging auf ihr Spiel ein und setzte ihr nach, wie der Wind. Sie lachte laut auf, ja, sie jauchzte geradezu.

Sie schlug einige ungeschickte Haken und lehnte sich dann, so als wollte sie sich ergeben, mit dem Rücken an eine Buche. Er steuerte in vollem Lauf auf sie zu.

Sie breitete ihre Arme aus wie eine Falle, der er nicht entkäme, sich auf die innigste Umarmung einstellend, und schloss verzückt ihre Augen.
Gerold fiel geradezu über Annemarie her, erfasste seinen Schal und schlang ihn um Annemaries Hals.
Er zog ihn zu, zog zu, zog zu, bis ihr nun nicht mehr so geschmeidiger Körper leblos auf den Waldboden sank.