WIE ICH DEN GEIST MEINER FRAU BEFRIEDETE

Schmerzlich genug war für mich, meine Frau im Alter von 36 Jahren innerhalb eines Tages an einer Sepsis zu verlieren.
Nach der Verabschiedung kehrte ich mit unseren drei Kindern in unser Haus am Land auf 925 m Seehöhe heim, das bis in die Keltenzeit auf einen Kohlenmeiler zurückgeht und dessen unverputzte Außenmauern aus meterdicken Granitsteinen bestehen, deren Ecken genau am Schnittpunkt der senkrecht ins All gehenden Himmelsmeridiane sind.
(Vielleicht auch das ein Grund dafür, dass sich ein Geist darin wohlfühlen kann.)
Das mit Bildern, Büchern, Kunstgegenständen und Stilmöbeln geradezu angefüllte Haus wirkte ohne die Hausherrin leer, ihre gute Seele hatte sich verflüchtigt.
Doch schon in der ersten Nacht vermeinten die Kinder im Dachgeschoß Geräusche gehört zu haben, die weder von Siebenschläfern noch von Holzböcken, die sie Holzwürmer nannten, stammen konnten.
Schritte gingen hin und her, verharrten dann und wann und setzten sich später wieder fort. Von Zeit zu Zeit war ein Seufzen oder Stöhnen zu vernehmen.
Nachdem wir uns tags darauf davon überzeugt hatten, dass sich dort oben niemand aufhielt oder versteckte, kamen wir zu dem unumstößlichen Schluss, es müsse sich um einen Geist handeln, einen Geist, wie er bisher in unserem Haus noch nicht aufgetreten war.
Nichts lag näher, als meine verstorbene Frau dahinter zu vermuten.
In den nächsten Nächten hatten sich die Bewegungen vom Dachboden schon in den ersten Stock, in den „Salon“ herunter gewagt.
Aber so sehr wir die Möbel, insbesondere die Sitzgelegenheiten, nach Spuren und Abdrücken untersuchten, wir fanden nichts!
Was eben damit zu erklären ist, dass Geister – wenn sie sich überhaupt irgendwo niedersetzen – keine bleibenden „Eindrücke“ hinterlassen.
Meine Kinder regten an, wir sollten dem Geist doch etwas zu essen geben oder ihm sonst den Aufenthalt bei uns verschönern.
Ich konnte dieser Idee nichts sehr viel abgewinnen, weil ich eher dafür war, den Geist zu übergehen, damit er sich – vernachlässigt – bald entferne.
Ich habe aber beobachtet, wie die Kinder, eins ums andere, in der Dunkelheit in den „Salon“ schlichen:
Der Kleinste brachte ein Püppchen mit, das ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tod gebastelt hatte; die Tochter legte eine Handarbeit ab, bei der ihr die Mutter bis zuletzt geholfen hatte, und der älteste Sohn zündete – obwohl er nicht christlich getauft worden war – eine Kerze vor einem Foto seiner Mutter an.
Alle Opfergaben blieben unberührt, es fand aber in dieser Nacht dreimal ein lauteres Grollen vom „Salon“ her statt, das wir als Freudenäußerung oder Dank auffassten.
Die Kinder meinten, sie wären gerne Mäuschen, um sich in den „Salon“ zu schleichen und den Geist dabei zu beobachten, wie er sich an den Geschenken erfreute.
Erst als ich ihnen versicherte, dass Geister unsichtbar wären, nahmen sie von ihrem Plan Abstand, schließlich wollten sie nicht völlig sichtbar auftreten, während sich der Geist nicht zeigen und sie vielleicht sogar narren würde.
Ich brauchte mehrere Tage, um sie davon zu überzeugen, dass uns der Geist, den wir nun schon „Helga“ nannten (denn „Mutti“ konnten sie nicht mehr unberührt sagen, deshalb diesen ihren Vornamen!), nicht übel wolle und sich offensichtlich bei uns aufhielte, weil er sich nicht so schnell (wie ihn der Tod abzog) von uns trennen könne.
„Ja, aber was hält ihn denn in der Welt der Sterblichen?“, wollte mein Ältester wissen.
„Meist die Sorge um das Wohl der ihm bis zum Tode Nahestehenden, die sie nicht ihrem Schicksal überlassen wollen, um die sie sich weiter kümmern, um die sie bangen und denen sie helfen möchten.“
„Und wie soll das möglich sein?“
„Selbstverständlich nicht auf dem üblichen, direkten Weg, sondern nur durch indirekte Einflussnahme, indem sie den Betroffenen das Gefühl geben, nicht allein gelassen zu werden.“
„Meinst du nicht“, wollte meine Tochter wissen, „dass Helga vielleicht deshalb noch in unserem Haus ist, damit keine andere Frau an ihre Stelle tritt, du dich nicht in eine Neue verliebst oder wir eine Stiefmutter bekommen?“
„Helga war schon zu Lebzeiten nicht eifersüchtig. Was sollte ihr Tod daran geändert haben? Ich glaube, sie gönnt uns ein reibungsloses Weiterleben nach ihrem Hingang.“
„Dann probier es doch einfach, Papa!“, stiftete sie mich an.

Während der nächsten Wochen hatten wir uns an die gelegentlichen Geräusche, die unser Geist nachts von sich gab, schon so gewöhnt, dass wir darüber nicht mehr erstaunt waren.
Ich beobachtete mich vielmehr dabei, dass ich manchmal – weil ich irgendwie von der Gunst der Geisterstunde angesteckt war – gegen Mitternacht hinauf in den „Salon“ ging und mit Helga Gespräche begann, ihr Fragen stellte, ihr Ereignisse aus dem Alltag erzählte, obwohl ich vermutete, sie habe dies alles von oben her mitbekommen, um Antworten zu erhalten, die ich mir dann – wie ich vermeinte – unter „geist“-iger Führung selbst gab.

Als ich nach Monaten wieder ein weibliches Wesen an mich heran ließ und es schließlich gar ins Haus mitnahm, gewann ich den Eindruck, unser Geist zöge sich aus dem „Salon“ wieder zurück, keineswegs beleidigt, sondern vielmehr beruhigt, dass ich mich langsam „wieder fand“ und eines besonderen Schutzes nicht mehr bedurfte.
Offenbar lassen sich Geister damit vertreiben, dass man verwirklicht, was sie von einem erwarten, zumindest, solange es sich um „gute Geister“ handelt wie in meinem Fall.
Dass man Geister mit Gewalt oder durch rituelle Austreibungen zur Abkehr bringen kann, ist wohl eine katholische Fehlauslegung. Je mehr man gegen einen Geist ankämpft, umso mehr wird er versuchen, sich dagegen zu behaupten (behaupte ich!), kommt man ihm aber entgegen und überzeugt man ihn davon, dass man auf seiner Linie liegt, wird er sich gern zurückziehen, ohne „ausgetrieben“ werden zu müssen.

Allerdings, was macht man mit Geistern, die nicht verschwinden wollen?
Man kann sie nur recht und schlecht in seinen eigenen Alltag einbinden, um ihnen das Gefühl der Achtung zu geben. (Ob Geister auch so etwas wie ein „Selbstwertgefühl“ haben, dem man schmeicheln sollte, damit sie einem gewogen sind? Das würde dann ja nichts an ihrer Stellung im „Vorleben“ ändern. Offenbar lernen auch manche Geister nichts dazu!)

Selbst wenn sie nur eine „Randerscheinung“ sein mögen, sie spielen doch in alle Entscheidungen des Be-Geisterten hinein, ob der nun tatsächlich davon begeistert und damit bestätigt ist oder ob er – weil er sich dagegen nicht zu wehren weiß – sie als notwendiges Übel in Kauf nehmen muss. So einer wirkt dann im Leben wirklich oft wie ein Fern-, ein Fremd-, ein Un-, ein Geistergesteuerter!

Als ich erstmals nach vielen Monaten eine Frau bei mir im Haus übernachten ließ, die zuvor bei all den von meiner Frau überall gegenwärtigen Fotos nach ihr und ihrem Schicksal gefragt hatte, weshalb ich schon fürchtete, diese Nacht würde uns ein grauenhaftes „Rumoren“, wenn nicht gar ein Unglück bescheren, und nichts weiter geschah als ein wie Zustimmung klingendes Rauschen, ja sogar ein beifälliges Raunen durch den Raum ging, wusste ich, dass mir meine Frau nichts neidete und alles gönnte.
Da ich sie in den folgenden Tagen und Wochen in unserem Haus nicht einmal mehr akustisch wahrnehmen konnte, kam ich zu dem Schluss, dass sie sich zurückgezogen und ihren Frieden gefunden habe.
Noch traute ich diesem Frieden nicht und befragte daher eine Bekannte, von der ich wusste, dass sie über die Fähigkeit zu „channeln“ verfügt. Sie kam zu uns ins Haus, nahm die Energie an verschiedenen Stellen auf, pendelte sie aus und versicherte mir letztlich glaubhaft, Helga habe sich aus dem Hauptgebäude entfernt und sei nur noch in der letzten Ecke des Schuppens präsent, um von dort aus noch eine geringe Zeit mit zu verfolgen, wie wir uns nach ihrem Tod wieder zurechtgefunden hätten.

Ich ging darauf in diesen Schuppen und dankte meiner Frau, dass sie sich in die Rolle des „guten Geistes“ zurückgezogen habe und nur so lange bliebe, als sie sicher gehen könne, wir würden auch ohne sie unser Weiterleben „be-geistert“ meistern.

Heinz- Helmut Hadwiger