NIE WIEDER

Als Richter in Strafsachen begegnet man den abenteuerlichsten Erklärungen darüber, weshalb und wodurch es oder der Angeklagte zur Straftat kam, ja, geradezu genötigt wurde.
Dies setzt aber schon ein – wenn auch nicht unbedingt reumütiges und umfassendes – so doch halbherzig sich abgerungenes Geständnis voraus.
Noch einfallsreicher sind – freilich oft mit scheinintellektueller Unterstützung durch einen gefinkelten Verteidiger – das Leugnen der Tat oder die dazu angebotenen Ausreden und Ausflüchte.
Mit ihnen kämpft man sich durch die Hauptverhandlung, sie sind durch das Beweisverfahren zu bestätigen oder zu widerlegen, jedenfalls zu relativieren.
Nach dem Schluss des Beweisverfahrens (so steht es in der Strafprozessordnung) erteilt der Vorsitzende den Parteien das Wort zu den Schlussvorträgen.
Der Ankläger ist zuerst am Wort, gefolgt von allenfalls vorhandenen Privatbeteiligten. Das Schlusswort steht jedenfalls dem Angeklagten und seinem Verteidiger zu. Wenn sich der Ankläger zu einer Replik auf die Ausführungen des Angeklagten oder des Verteidigers entschließt, ist dem Angeklagten und seinem Verteidiger Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben, so dass dem Angeklagten auf jeden Fall das letzte Wort gewahrt bleibt.
Allerdings besteht dieses „letzte Wort“ ja meist nicht nur aus einem Wort (wie etwa: „Freispruch“, „Milde“, „Gnade“, „bedingte“ – mit „Verurteilung“ wären es ja schon zwei Wörter!), sondern aus mehr oder weniger langen, mehr oder weniger geschickten oder ungeschickten Ausführungen zur Unschuld des Angeklagten oder zu den Milderungsgründen, zumal für die Schlussvorträge kein zeitliches Limit gilt und ein Unterbrechen nur von der Geduld des Vorsitzenden abhängt.
O wie peinlich ist manchmal das Schlusswort des Angeklagten, nützt er erst die Möglichkeit, noch einmal seine Unschuld zu beteuern oder, was immer gut ankommt, Reue zu zeigen. Natürlich nicht beides gleichzeitig, aber auch das kommt vor, ohne dass der Angeklagte schizophren zu sein braucht. Wenn er etwa vorbringt, die Tat ganz bestimmt nicht begangen zu haben, jedoch – sollte das Gericht gegenteiliger Ansicht sein – an dessen Milde und Einsicht (an der es ihm selbst leider mangelt) appelliert.
Gern schließt er sich auch den schon erprobten, daher dem Gericht nicht gänzlich neuen Ausreden, Spitzfindigkeiten und Beschönigungen seines Verteidigers an.
Nicht ganz so „guter Dinge“ ist er meist nach der Verkündung eines verurteilenden Erkenntnisses, muss er dann doch erkennen, dass seine Einlassung nicht die klügste und strafschonendste war.
Nun ist ihm die Rechtsmittelerklärung zu erteilen, selbst wenn er das Urteil „nicht ganz versteht“.
Fühlt er sich ungerecht beurteilt oder ist er erbost, meldet er Berufung an. Das ist dann meist sein wirklich letztes Wort in der Hauptverhandlung, es sei denn er ergeht sich noch in Schimpftiraden gegenüber dem Senat oder traktiert seinen Verteidiger, der ihm das Blaue vom Himmel versprochen hatte, nur keine Haftstrafe.
Ist der Verurteilte mit dem Richterspruch mehr oder weniger zufrieden oder glaubt er, dass es für ihn nicht mehr besser werden kann, erklärt er Rechtsmittelverzicht.
Diese Äußerung ist zwar schon vor der Bekanntgabe der Entscheidungsgründe durch den Vorsitzenden zulässig und bindend, nicht jedoch vor der Erlassung der Entscheidung, also diese vorwegnehmend.
Gerade das Schlusswort des Angeklagten entbehrt nicht selten ungewollter Heiterkeit, voreiliger Schlussfolgerungen und Freudscher Versprecher.
„Ich bin unschuldig, Herr Rat, und ich werde es nie wieder tun! Ehrenwort: nie wieder!“
Unterbricht dann der Vorsitzende an Hand der nicht gerade leeren, bezüglich der erlittenen Vorstrafen recht aufschlussreichen Strafregisterauskunft mit:
„Wie oft haben Sie das schon beteuert?“, erfährt er zu des Angeklagten Ehrenrettung:
„Jedes Mal! Aber ich habe auch jedes Mal etwas anderes begangen!“
So vielseitig und wendig sind Angeklagte oft:

„Ich hab mir gedacht, man erwischt mich ohnehin nicht. Sonst hätte ich es nicht getan!“
Als ob die Mehrzahl der Täter Verbrechen in der Hoffnung beginge, ertappt zu werden!

„Gut, ich habe es getan, und ihr habt mich überführt. Beim nächsten Mal werde ich schlauer sein!“
Der Angeklagte wird wohl gemeint haben, so schlau zu sein, nicht mehr straffällig zu werden, oder glaubt er etwa, durch die Verhandlung oder – wie ja bekannt – im „Häfen“ so viel dazu gelernt zu haben, dass man ihm künftig nichts beweisen kann?

„Ich würde es ja – wegen des Milderungsgrundes – gern zugeben, aber was bleibt dann dem wahren Täter? Der wäre gezwungen, es gar zu bestreiten, und hätte dann diesen Milderungsgrund nicht mehr.“

So hat beispielsweise ein Angeklagter mit Lateinabitur, der sein Wissen in höherer Mathematik für gewiefte Betrügereien ausgenützt, ja missbraucht hatte, als letztes Wort nur mehr „mea culpa!“ hervorgebracht, worauf ihn der Vorsitzende darauf hinwies, er sei weder in der Kirche noch zur Beichte, ob der Senat dies wohl als Geständnis werten dürfe.
„Amen!“ ließ der Gebildete verlauten: So ist es! Ainsi soit-il!

Ein anderer Angeklagter gab im Schlusswort zu bedenken, es sei ihm als mildernd anzurechnen, dass die Tat für ihn so schwierig gewesen wäre.

Ein Einbrecher, der vornehmlich nachtaktiv war, verwehrte sich gegen die strafverschärfende Qualifikation der „Begehung zur Nachtzeit“ mit dem Einwand, wenn er so dumm gewesen wäre, am helllichten Tag einzubrechen, wäre er doppelt zu bestrafen.
„Wann, bitte, Herr Rat, hätte ich denn sonst einbrechen sollen?“

Ein spitzfindiger Einbrecher argumentierte damit, dass er lediglich des versuchten Einbruchs schuldig sei, weil es ihm misslungen war, mit seinem Regenschirm eine Lederjacke aus einer Hauseinfahrt herauszuangeln. Nur weil ihm der Schirm dabei hineingefallen sei, habe er einsteigen müssen, um ihn herauszuholen. Dabei habe er praktischerweise die Lederjacke gleich mitgenommen: also bloß ein „einfacher Diebstahl“!
Am geständigsten freilich war ein Angeklagter, der während der ganzen Verhandlung die Tat beharrlich bestritten hatte und im Schlusswort – vom Verteidiger wohl missverständlich instruiert – nur mehr: „Rechtsmittelverzicht!“  ausrief.

Das wird ihm wohl nie wieder passieren, nie wieder!

H. H.HADWIGER